Schlafmangel: So ungesund ist es wirklich

Von Napoleon ist überliefert, dass er wenig übrig hatte für Langschläfer. „Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs der Idiot“, soll der kleine Korse mit dem großen Ego behauptet haben. Heute wissen wir, dass sich der Kaiser der Franzosen nicht nur im Hinblick auf seine Unbesiegbarkeit geirrt hat, sondern auch, was seine Geringschätzung für ausreichend langen Nachtschlaf anbelangt.

Richtig ist, dass es keinen allgemeingültigen Richtwert gibt, wie viele Stunden Schlaf optimal sind – das Schlafbedürfnis ist individuell sehr unterschiedlich. Dauerhaft nur vier Stunden pro Nacht zu schlafen, dürfte jedoch kaum ohne gesundheitliche Einbußen zu machen sein – dafür sind diese Erholungsphasen einfach zu wichtig für den gesamten Organismus. Und ganz sicher ist ein Schlafbedürfnis von mehr als sechs Stunden keine Idiotie. Das Gegenteil trifft eher zu: Zu wenig Schlaf macht dumm!

Betrunken ohne Alkohol.

Wer zu wenig schläft, ist nämlich unkonzentrierter, trifft häufiger falsche Entscheidungen, hat eine längere Reaktionszeit und büßt auch an motorischer Geschicklichkeit ein. Die Ursachen sind zunehmende Unkonzentriertheit und Ausfälle der Wahrnehmung bis hin zu kurzen Mikro-Schlafepisoden. Vermutlich arbeiten bei chronischem Schlafmangel gleich mehrere neuronale Netzwerke nicht mehr optimal zusammen.

Untersuchungen im Schlaflabor des Luft- und Raumfahrtzentrums in Köln haben ergeben, dass bereits vier Nächte, in denen die Schlafdauer auf fünf Stunden begrenzt wird, zu gravierenden mentalen Leistungseinbußen führen – in etwa entsprechend den Auswirkungen von einem Promille Blutalkoholgehalt! Während solche Defizite bei einem Bibliothekar ohne gravierende Folgen bleiben mögen, können Fehlentscheidungen oder der berüchtigte Sekundenschlaf bei Arbeitern, die schwere Maschinen bedienen oder auch bei LKW-Fahrern zur tödlichen Gefahr werden. Auch an der Qualität der Konsenslösungen, auf die sich Politiker nach einem nächtelangen Sitzungsmarathon verständigen, darf gezweifelt werden.

24 Stunden wach zu sein, beeinträchtigt unsere Fähigkeiten wie 1 Promille Alkohol.

D. A. Cohen, W. Wang, J. K. Wyatt, R. E. Kronauer, D.-J.Dijk, C. A. Czeisler, E. B. Klerman, Uncovering Residual Effects of Chronic Sleep Loss on Human Performance. Sci. Transl. Med. 2, 14ra3 (2010).

Zu wenig Schlaf macht krank.

Schlafforscher empfehlen ein Zeitfenster zwischen sechs und acht Stunden Schlaf pro Nacht für den Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit. Darunter bleibt aber nicht nur die Geisteskraft auf der Strecke – auch das Risiko für schwere organische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Probleme oder Stoffwechsel-Störungen nimmt zu!

Eine Gesundheitserhebung aus den USA legt nahe, dass eine langfristige Schlafdauer von weniger als sieben Stunden das Risiko erhöht, an Depressionen oder Diabetes zu erkranken und darüber hinaus Bluthochdruck und Übergewicht fördert. Laut Laborstudien könnte das daran liegen, dass sich bei Schlafmangel die Regulation des Blutzuckerspiegels ungünstig verändert – ebenso wie diejenige des Hormonhaushalts. 

Auch das Immunsystem leidet. 2015 sorgte ein Experiment für Aufsehen, bei dem die Teilnehmer nach Schlafentzug Rhinoviren ausgesetzt wurden.

Das Ergebnis: Probanden, die zwei Wochen lang weniger als sechs Stunden pro Nacht geschlafen hatten, bekamen viermal häufiger einen Schnupfen.

80% der Deutschen schlafen zu wenig!

Schlafdauer nimmt kontinuierlich ab.

Alarmierend ist in diesem Zusammenhang, dass die Deutschen immer weniger schlafen – im Mittel unter sieben Stunden! Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Emnid. Zehn Jahre zuvor waren es noch 15 Minuten mehr, vor 100 Jahren waren sogar knapp neun Stunden Schlaf gesunder Durchschnitt.
Die stete Lärmkulisse in unseren Städten, permanente Erreichbarkeit durch Mobilgeräte und natürlich der andauernde Zeitdruck unserer Gesellschaft machen es schwer, zur Ruhe zu kommen. Hinzu kommt, dass selbst heute – 200 Jahre nach Napoleon – kurze Schlafzeiten noch immer als Zeichen von Produktivität und Kompetenz gelten: Zahllose Politiker brüsten sich damit, nicht länger als vier Stunden pro Nacht zu schlafen; genauso wie Manager, Börsenmakler, Ärzte, Journalisten und andere sogenannte Leistungsträger. Schlafmangel als Statussymbol der Alpha-Tiere?

Durchschnittliche Schlafdauer

der Deutschen pro Nacht

Quelle: TK-Schlafstudie 2017

Es bleibt zu hoffen, dass sich möglichst bald herumspricht, wie schädlich zu wenig Schlaf nicht nur für den Organismus, sondern auch für das kognitive Potenzial ist. Entscheidungen, die Millionen Menschenleben unmittelbar betreffen, möchte man schließlich niemandem überlassen, dessen geistige Leistungsfähigkeit der eines Betrunkenen entspricht.