Wenn der Organismus aus dem Takt gerät.

Spätestens wenn am 27. Oktober die Uhren wieder auf Normalzeit zurückgedreht werden, flammt die Diskussion um Sinn und Unsinn der Zeitumstellung wieder auf. Ist das gerechtfertigt angesichts dessen, dass es nur um eine einzige Stunde geht? Der Anlass mag unbedeutend erscheinen – doch viele Menschen erleben die Zeitumstellung als Einschnitt: Jeder Fünfte reagiert darauf zumindest vorübergehend mit Problemen; einer Art Mini-Jetlag. Das ist weniger verwunderlich, als es den Anschein hat, wenn man sich vor Augen führt, wie stark der Mensch von seiner inneren Uhr abhängig ist!

Bei jedem 5. führt die Zeitumstellung zu einem Mini-Jetlag.

Innere und äussere Taktgeber.

Die innere Uhr? Genaugenommen ist es nicht nur eine einzelne Uhr, sondern Milliarden davon. Jede einzelne Zelle hat ihren eigenen Zeitmesser; jedes Organ eine Gruppe davon. Der grundsätzliche Rhythmus ist in den Genen festgeschrieben: 

Von Natur aus folgt unser Organismus einem 25-Stunden-Takt – das haben Forscher in den 1960er-Jahren in dem berühmten „Bunker-Experiment“ herausgefunden, indem Freiwillige von Umwelteinflüssen isoliert wurden.

Unter dem Einfluss von Tageslicht jedoch pendelt sich ein zirkadianer Rhythmus ein; also einer, der dem 24-Stunden-Tag angeglichen ist. Mitverantwortlich dafür ist ein Nervenknoten im Gehirn, der sogenannte suprachiasmatische Nukleus oder kurz SCN. Er koordiniert das Zusammenspiel der Zeitmesser in den einzelnen Zellen und ist die wichtigste Steuerungseinheit des Schlaf-Wach-Rhythmus. Der SCN sitzt genau an der Stelle im Gehirn, wo sich die Sehnerven kreuzen; und er reagiert auf Lichtimpulse, die ihm von speziellen Rezeptoren auf der Netzhaut vermittelt werden.

Tageslicht ist der mächtigste äussere Taktgeber für die innere Uhr!

Der Organismus im Tageslauf:

Schon früh am Morgen bereitet sich der Körper auf verschiedene Aktivitäten vor: Hormone werden ausgeschüttet, das Schmerzempfinden ist niedrig. Zwischen 10 und 12 Uhr haben Aufmerksamkeit und Kurzzeitgedächtnis ihre Hochphasen.

Zum Mittag beginnen die Verdauungs-organe ihre Tätigkeit – es ist Essenszeit. Eine Stunde später kommt das berüchtigte Mittagstief: Die Evolution hat zu dieser Zeit eher ein Verdauungs-schläfchen statt Leistungs-bereitschaft vorgesehen.

Nachmittags folgt dann ein zweites Hoch: Gegen 14 Uhr ist unsere Koordination am besten, gegen 15 Uhr die Reaktionszeit am schnellsten. Zwischen 17 und 18 Uhr arbeiten Herz-Kreislauf-System und Muskulatur am effektivsten; ideal für sportliches Training!

Ab 21 Uhr beginnt dann die Melatonin-Ausschüttung: Das Schlafhormon wird produziert, wenn das Tageslicht ausbleibt. Mit dem Einsetzen der Müdigkeit fallen auch Blutdruck und Körpertemperatur; die Verdauung wird langsamer. Andererseits beginnt der Körper jetzt seine Regenerationsphase: Während der Nacht arbeitet das Immunsystem auf Hochtouren; Wunden heilen schneller. 

Gegen 7 Uhr morgens stoppt die Melatonin-Ausschüttung wieder; der Körper stellt sich auf einen neuen Tag ein.

Leben gegen die innere Uhr.

Nachts ist unser Körper folglich nicht auf Leistung programmiert, sondern auf Erholung. Und während der Organismus in der Lage ist, sich an veränderte Lichtverhältnisse (beispielsweise im Laufe der Jahreszeiten) anzupassen, läuft diese Anpassung jedoch aus verständlichen Gründen verzögert ab: Andernfalls brächte schon ein wolkenloser Tag die innere Uhr aus dem Takt. Ändern sich die äußeren Umstände aber schneller, als der Körper reagieren kann, so laufen viele Körperfunktionen asynchron ab. 

Das kann beispielsweise bei einer Fernreise über mehrere Zeitzonen oder auch durch Schichtarbeit passieren – ein Jetlag entsteht. Dass alleine die Zeitumstellung solche drastischen Folgen hat, ist unwahrscheinlich; aber ein Lebensstil, der dauerhaft unserem natürlichen Rhythmus zuwiderläuft, kann das Risiko für verschiedene Erkrankungen dramatisch erhöhen:

  • Stoffwechselstörungen
  • Degenerative Erkrankungen des Nervensystems  (Alzheimer oder Demenz)
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Krebs

Insbesondere in unserer schnelllebigen Zeit, in der die Wach-Phasen oft künstlich verlängert werden, ist es daher dringend ratsam, öfter auf den Körper – und seinen natürlichen Zeitmesser – zu hören.