Die Psychologie des Reiz­darm­syndroms.

Ein Reizdarmsyndrom hat viele Gesichter. Seine Ursache ist nach wie vor nicht abschließend geklärt; doch ein häufiger Auslöser ist Stress! Die gute Nachricht lautet: Die Symptome sind ungefährlich – und mit der richtigen Lebensführung auch in den Griff zu bekommen. 

Neben der richtigen Ernährung spielt hier das innere Gleichgewicht eine wichtige Rolle, denn ein häufiger Trigger (also ein auslösender Reiz) für die Beschwerden ist psychischer Druck. Dabei ist es wichtig, festzuhalten, dass ein Reizdarmsyndrom weder eine eingebildete Krankheit ist noch rein seelische Ursachen hat! Es gibt sehr wohl – je nach Typus – mehr oder weniger stark ausgeprägte körperliche Veränderungen, die mit den Beschwerden in Verbindung stehen. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie durch emotionale Anspannung ausgelöst bzw. verstärkt werden. 
Gehirn und Verdauungstrakt stehen über die Darm-Hirn-Achse in ständiger Verbindung. Wenn uns also viel im Kopf herumgeht und wir psychisch unter Druck stehen, kann das Auswirkungen auf unseren Darm und seine Tätigkeit haben. Umgekehrt verfügt der Darm über sein eigenes Nervensystem, das auch manchmal als „Bauch-Gehirn“ bezeichnet wird. Es umfasst zwischen 100 und 150 Millionen Nervenzellen, ist hauptsächlich in der Darmwand lokalisiert und stellt gewissermaßen die Steuerungszentrale der Verdauung dar. Heute gilt als gesichert, dass dieses Darm-Nervensystem bei einem Reizdarmsyndrom überaktiv ist – also häufiger und stärkere Reize sendet als gewöhnlich.

Stress, Depressionen, Angststörungen: Psychische Belastungen spürt auch der Darm!

Überempfindliches Nervenkostüm.

Von der Tätigkeit des Darm-Nervensystems bekommen wir normalerweise gar nichts mit, obwohl 90 % der Informationen vom Darm zum Gehirn fließen, und nicht umgekehrt. Das ist auch gut so, denn wenn jede Bewegung der Darmmuskulatur, jeder Reiz aus dem Inneren und jede Interaktion mit dem zentralen Nervensystem im Kopf bewusst verarbeitet werden müsste, wäre das ein totaler Overkill an Informationen. Bei einem Reizdarmsyndrom liegt die Sache anders: So können beispielsweise Dehnungsreize, die normalerweise nicht spürbar sind, verstärkt wahrgenommen werden. Ein Patient mit Reizdarmsyndrom kann diese Signale, die üblicherweise nur die Darmbewegung (Peristaltik) auslösen und so für einen Weitertransport des Nahrungsbreis sorgen, eventuell schon als schmerzhaft wahrnehmen. 

Umgekehrt hat jedoch auch die Psyche Einfluss auf die Verdauungstätigkeit. Das kennt jeder, der schon einmal vor einer Prüfungssituation den Drang verspürt hat, auf die Toilette zu gehen. Auch die Redensart „sich vor Angst in die Hose machen“ kommt nicht von ungefähr: Für unsere Vorfahren konnte es eine Frage von Leben und Tod sein, ob ihre Körperenergie für die Verdauung oder zur Flucht genutzt wurde. Deshalb reagiert unser Körper auf eine extreme Stresssituation damit, dass er gewissermaßen allen Ballast abwirft. 

Diese Auswirkungen von Stressfaktoren auf den Darm machen deutlich, dass Depressionen, seelische Traumata oder Angststörungen – allesamt Stresssituationen für den Körper – die Entstehung eines Reizdarmsyndroms begünstigen; und sogar geringere psychische Belastungen wie Leistungsdruck, Trauer oder Probleme in der Partnerschaft können bereits bestehende Beschwerden verstärken.

5 schnelle Tipps gegen Stress im Darm:

Unsere Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder Atemübungen helfen auch hier!

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Ein Wellness-Wochenende, das nur dem körperlichen Wohl dient, ist auch für die Seele heilsam.

Gehen Sie Freunden und Familienmitgliedern gegenüber offen mit Ihren Beschwerden  
um  – das beugt Konflikten vor.

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Was geschieht bei Stress im Darm?

Eine Stresssituation ist immer eine solche, die der Körper instinktiv als Gefahr einstuft. Mag es in grauer Vorzeit die Begegnung mit einem Säbelzahntiger gewesen sein, so sind es heutzutage eher Geldsorgen oder Ärger mit dem Chef. Weniger dramatisch vielleicht, aber nicht weniger existenzbedrohend. Der Körper reagiert noch immer wie vor tausenden von Jahren, indem er sich auf eine extreme Reaktion – Kampf oder Flucht – vorbereitet: Er schüttet die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin aus, die uns befähigen, schneller zu reagieren, konzentrierter zu arbeiten und das Letzte aus uns herauszuholen. Gleichzeitig aktivieren sie Entzündungsprozesse im Körper, die eventuell eingedrungene Krankheitserreger bekämpfen sollen. Die Muskeln werden angespannt, die Atmung beschleunigt sich, Blutzucker und Fettspiegel als Energielieferanten steigen an. Gleichzeitig wird alles zurückgefahren, was nicht unbedingt überlebensnotwendig ist. 

Im Verdauungstrakt führt die Anspannung zu einer vermehrten Produktion von Magensäure. Die Peristaltik gerät aus dem Takt und der Speisebrei wird zu schnell durch den Darm geschleust, ohne ihm Wasser oder Nährstoffe zu entziehen – es findet keine Verdauungstätigkeit mehr statt; und auch das Hungergefühl wird unterdrückt. Nach einer gewissen Zeit aber schreit der Organismus nach neuer Energie: Der Blutzuckerspiegel ist jetzt abgebaut, der Insulinpegel hoch – es folgt eine Heißhungerattacke. Häufig gibt man diesem Bedürfnis nach energiereicher Nahrung nach;  „Frustessen“ oder „Nervennahrung“ sind Ausdrücke, die für diese Zufuhr an hochkalorischen Lebensmitteln in Stresssituationen stehen.

Die körperliche Höchstleistung jedoch (Kampf oder Flucht), die eine solche Energiezufuhr rechtfertigen würde, bleibt in heutiger Zeit meistens aus – stattdessen schnellt der Blutzuckerspiegel wieder nach oben. Auch die Darmflora leidet auf Dauer unter der einseitigen, ballast- und nährstoffarmen Lebensweise: Die guten Bakterien, die einen Teil der Darmbarriere darstellen, werden weniger. Entzündungsauslösende Schadstoffe können leichter in den Körper eindringen. Und unter dem Einfluss der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin werden Entzündungen begünstigt. Durchlässige Darmbarriere und vermehrte Entzündungsreaktionen: Zwei Faktoren, die auch aus dem Symptomkomplex des Reizdarmsyndroms bekannt sind!

Stressabbau als Therapie.

Komplett von Stress freimachen können wir uns in der heutigen Zeit wohl nicht mehr. Und nicht jede Form von Stress ist ungesund: Die Anspannung, die uns zu sportlichen Höchstleistungen antreibt oder der Ehrgeiz, der uns die bestmögliche Leistung abverlangt – all das kann sehr befriedigend sein. Entscheidend ist, dass wir zu unterscheiden lernen, was „positiver“ Stress (Eustress) ist und welche Form von psychischem Druck uns krank macht (Disstress). Dann können wir darauf achten, dass das Gleichgewicht stimmt – und dass wir einen gesunden Ausgleich finden, bevor die Stressfaktoren im Körper irreparablen Schaden angerichtet haben. 

Mögliche Maßnahmen, um Alltagsstress zu reduzieren, könnten beispielsweise sein:

Digitales Fasten

E-Mails checken, soziale Medien, ständige Erreichbarkeit – unser digitales Zeitalter bedeutet andauernden Stress. Deshalb: Gönnen Sie sich ab und zu eine bewusste Auszeit; insbesondere dann, wenn Sie ohnehin schon unter Druck stehen. Schalten Sie das Handy ab; lassen Sie den privaten Computer aus: Es hilft, Sie werden sehen!

Ab in den Wald

In Japan ist Shinrin Yoku, zu deutsch etwa „Waldbaden“, ein fester Bestandteil der Gesundheitsvorsorge. Studien belegen, dass der Aufenthalt im Wald etwa den Blutdruck senken und Stresshormone reduzieren kann. Probieren Sie es aus – in jedem Fall kommen Sie auf andere Gedanken und die Bewegung unterstützt die Darmtätigkeit. 

Ausreichend schlafen

Im Schlaf regenerieren sich Körper und Seele. Wer genügend lange und erholsam geschlafen hat, kann dem neuen Tag ganz anders entgegentreten. Achten Sie daher auf Ihre Schlafhygiene: Schlafzimmer völlig abdunkeln, akustische Störfaktoren ausschalten, kein spätes Abendessen, kein alkoholischer „Schlummertrunk“.

Dem Stress Beine machen

Sport ist ideal, um Stress abzubauen. Außerdem schüttet der Körper dabei Dopamine aus; das sind natürliche Stimmungsaufheller. Bei Reizdarmsyndrom mit Tendenz zur Verstopfung hat sich Yoga besonders bewährt: Die Kombination aus Achtsamkeit und körperlicher Bewegung unterstützt gleichzeitig die Darmtätigkeit und die bewusste Entspannung.